BAG, Urteil vom 28.01.2025 – 9 AZR 48/24 –
BAG, Urteil vom 28.01.2025 – 9 AZR 48/24 –

BAG-Urteil vom 07.02.2025 – 5 AZR 177/23 –: Annahmeverzug und böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes
(Teil I)

 Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit seinem Urteil vom 7. Februar 2024 (5 AZR 177/23) wichtige Grundsätze zur Anrechnung von anderweitigem Verdienst bei Annahmeverzug klargestellt. Die Entscheidung betrifft den Anspruch auf Annahmeverzugs – im Falle einer unwirksamen ordentlichen Kündigung, für den Zeitraum nach dem Ende einer etwaigen Kündigungsfrist und Annahmeverzugslohn im Falle einer unwirksamen fristlosen Kündigung. Anmerkung: In „Annahmeverzugslohn Teil II“ wird der Zeitraum einer Freistellung vor dem Ende der Kündigungsfrist betrifft (mit einer nach unserer Auffassung etwas fragwürdigen Konsequenz für die Praxis, <link>).

Einordnung des Problems: Arbeitsgerichtliche Kündigungsschutzverfahren dauern oft sehr lange und kommen mitunter zu überraschenden und nicht selten – für den Arbeitgeber – negativen Ergebnissen.

Größtes wirtschaftliches Risiko des Arbeitgebers während der Kündigungsfrist (Annahmeverzugslohn Teil II, <link>) und Fortgang des Kündigungsschutzverfahrens ist der Annahmeverzugslohn.

Es ist dabei nach den hier besprochenen Entscheidungen des BAG vom 07.02.2025 und 12.02.2025 grundsätzlich zwischen zwei Zeiträumen zu differenzieren. Einerseits ist die Zeit zwischen Ausspruch der Kündigung und Ende der Kündigungsfrist bei gleichzeitiger Freistellung – § 615 Satz 2 BGB – zu betrachten. Andererseits ist der Zeitraum nach dem Ende der Kündigungsfrist und der Fall der unwirksamen fristlosen Kündigung – § 11 KSchG – zu beurteilen.

Besonders ist der Fall der fristlosen Kündigung und hilfsweisen ordentlichen Kündigung deshalb, da der Arbeitgeber in aller Regel nicht die Möglichkeit hat, das wirtschaftliche Risiko des Annahmeverzugslohns dadurch zu mildern, dass er dem Arbeitnehmer eine sogenannte Prozessbeschäftigung anbietet. Die außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, sofern es ihm nicht zumutbar ist, den Arbeitnehmer bis zum Ende einer etwaigen Kündigungsfrist fortzubeschäftigen. Wenn er gleichzeitig ein Prozessarbeitsverhältnis anbietet, so erklärt er in aller Regel damit konkludent, dass ihm doch eine Fortbeschäftigung möglich wäre.

 Das BAG stellt zunächst klar, dass eine Böswilligkeit im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG nur dann vorliegt, wenn der Arbeitnehmer es vorsätzlich unterlässt, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, oder aktiv verhindert, dass ihm eine neue Beschäftigung angeboten wird. Dabei kommt es auf eine umfassende Abwägung der Umstände an. Ein bloßes Unterlassen von Bewerbungen reicht nicht automatisch aus, um eine Böswilligkeit zu bejahen. Vielmehr kann eine Verletzung sozialrechtlicher Pflichten, wie die unterlassene Meldung als arbeitsuchend (§ 38 SGB III), als Indiz für böswilliges Verhalten gewertet werden​.

Ein weiterer zentraler Punkt des Urteils betrifft die Frage der Zumutbarkeit einer anderweitigen Tätigkeit. Das BAG betont, dass ein Arbeitnehmer nicht jede beliebige Beschäftigung annehmen muss. Im Einzelfall ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Entscheidend sind Kriterien wie die Art der Arbeit, die Arbeitsbedingungen, die Höhe der Vergütung und der Arbeitsort. Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen muss nicht hingenommen werden. Insbesondere reicht ein bloß geringerer Verdienst nicht aus, um eine Anrechnung nach § 11 Nr. 2 KSchG zu rechtfertigen​.

Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass sie im Prozess konkret darlegen müssen, welche zumutbaren Arbeitsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer bestanden. Dabei können auch öffentliche Stellenanzeigen oder übermittelte Jobangebote berücksichtigt werden. Der Arbeitnehmer hat daraufhin eine sogenannte sekundäre Darlegungslast – er muss nachweisen, dass er sich um eine neue Stelle bemüht hat oder dass ihm keine zumutbaren Alternativen zur Verfügung standen​.

Das Urteil hat erhebliche praktische Relevanz für Kündigungsschutzprozesse. Arbeitnehmer sollten sich bewusst sein, dass sie im Annahmeverzug nicht vollständig passiv bleiben dürfen. Arbeitgeber wiederum können sich auf die Entscheidung berufen, um in bestimmten Fällen eine Anrechnung durchzusetzen.

Wenn Sie Fragen zur Berechnung des Annahmeverzugslohns oder zur Anrechnung böswillig unterlassenen Verdienstes haben, beraten wir Sie gerne individuell zu Ihren Möglichkeiten und Risiken.

 Dem wirtschaftlichen Risiko kann auf zwei Stufen begegnet werden. Auf erster Stufe ist die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung zu verteidigen. Sofern sich im Nachgang eine (fristlose) Kündigung als unwirksam herausstellt, schuldet der Arbeitgeber, der sich in der Regel mit der Annahme der Arbeitsleistung im Verzug befindet, sogenannten Annahmeverzugslohn.

 Das BAG stellt in seiner neuen Entscheidung erstmals ausdrücklich klar, dass eine Kürzung des Annahmeverzugslohns aufgrund böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes grundsätzlich nicht für die Zeit zwischen Ausspruch der Kündigung und dem Ende der Kündigungsfrist erfolgen kann. In dieser Phase besteht grundsätzlich keine Verpflichtung für den Arbeitnehmer, eine neue Beschäftigung aufzunehmen, da das Arbeitsverhältnis – wenn auch strittig – fortbesteht. Erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, also wenn das Arbeitsverhältnis tatsächlich als beendet gilt und der Arbeitnehmer ohne Arbeit dasteht, kommt eine Anrechnung nach § 11 Nr. 2 KSchG in Betracht. Das BAG hat damit unseres Erachtens den Anwendungsbereich des im Wesentlichen inhaltsgleichen § 615 Satz 2 BGB eingeschränkt. Arbeitgeber können sich somit grundsätzlich nicht darauf berufen, dass Arbeitnehmer sich bereits während der Kündigungsfrist um eine alternative Stelle hätten bemühen müssen.

Außerhalb der Kündigungsfrist prüft das BAG hingegen streng, ob ein Arbeitnehmer böswillig darauf verzichtet hat, eine zumutbare neue Stelle anzunehmen. Entscheidend ist, ob eine Gesamtabwägung aller Umstände ergibt, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich untätig geblieben ist und somit ein Verschulden trägt. Dabei betont das Gericht, dass sozialrechtliche Verpflichtungen eine Rolle spielen können. So kann etwa eine Verletzung der Pflicht zur frühzeitigen Arbeitsuchendmeldung nach § 38 SGB III als Indiz für böswilliges Unterlassen gewertet werden. Wer sich nicht oder nur pro forma arbeitsuchend meldet und aktiv verhindert, dass die Arbeitsagentur ihm Stellenangebote unterbreitet, kann sich nicht auf den vollen Annahmeverzugslohn berufen.

Eine Anrechnung kommt allerdings nur in Betracht, wenn die alternative Beschäftigung für den Arbeitnehmer zumutbargewesen wäre. Das bedeutet, dass nicht jede schlechter bezahlte oder ungünstig gelegene Stelle angenommen werden muss. Eine erhebliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen muss der Arbeitnehmer nicht hinnehmen. Arbeitgeber, die sich auf eine Anrechnung berufen, müssen konkret darlegen, dass eine zumutbare Beschäftigung bestanden hätte. Arbeitnehmer wiederum müssen nachweisen, dass sie sich um eine neue Anstellung bemüht haben oder dass keine passenden Angebote vorhanden waren.

Besonders relevant ist die Entscheidung für Kündigungsschutzprozesse, in denen es um hohe Nachzahlungsforderungen geht. Arbeitgeber müssen genau prüfen, ob eine Anrechnung überhaupt zulässig ist und in welcher Phase des Annahmeverzugs dies überhaupt möglich wäre. Arbeitnehmer wiederum sollten sich bewusst sein, dass sie nach Ablauf der Kündigungsfrist aktiv werden müssen, um sich nicht dem Vorwurf böswilligen Unterlassens auszusetzen.

Das Urteil schafft somit mehr Klarheit für beide Seiten: Während Arbeitnehmer in der Kündigungsfrist nicht verpflichtet sind, sich eine neue Stelle zu suchen, kann ihnen nach deren Ablauf ein fehlender Arbeitswille zum Verhängnis werden. Eine strategische Vorgehensweise ist in diesen Fällen essenziell.

Haben Sie Fragen zur Berechnung des Annahmeverzugslohns oder zur Anrechnung anderweitigen Verdienstes? Wir beraten Sie gerne zu Ihren individuellen Möglichkeiten und Risiken. Gleiches gilt unseres Erachtens damit auch für den Fall einer unwirksamen fristlosen Kündigung.